08.10.2015

Interview mit Prof. Kolb zum Thema Demenz

Anlässlich des Pflegesymposiums in Lingen beantwortete Prof. Dr. Dr. Gerald Kolb, Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Geriatrie des Bonifatius Hospitals, einige Fragen zum Thema Demenz

Plötzlich reden alle von Demenz. Gibt es wirklich so viele Erkrankte, wird das Risiko in Zukunft weiter steigen?

Antwort: Unsere Lebenserwartung steigt pro Jahr um etwa drei Monate. Relativ am stärksten wächst das Segment der Hochaltrigen. Lediglich 6% der 75-79-jährigen leiden an einer Demenz, bei den 85-89-jährigen sind es bereits 24%. Wir wissen, dass das Auftreten einer demenziellen Erkrankung sich nach dem 65. Lebensjahr alle fünf Jahre verdoppelt. Dies bedeutet nach einem 2010 veröffentlichten Report einer gesetzlichen Krankenkasse, dass jede zweite Frau und jeder dritte Mann demenziell erkrankt; ich würde besser sagen, ihre und seine Demenz erleben wird. Bereits jetzt haben wir mehr als 1,2 Mio. an Demenz Erkrankte in Deutschland, für das Jahr 2030 werden wir trotz sinkender Bevölkerungszahl einen Anstieg auf 1,8 Mio. und 2060 auf 2,5 Mio. haben. Dies entspricht einer Erhöhung von 1,5% der Gesamtbevölkerung heutzutage auf 3,8% innerhalb von rund 50 Jahren. Bedenken Sie bitte, vor Demenz ist keiner gefeit. Das Outing zahlreicher Prominenter, die an dieser Krankheit litten oder leiden, hat ein Übriges dazu beigetragen, dass das frühere Tabu-Thema nunmehr offensiver diskutiert wird. Entscheidend für eine neue Kultur im Umgang mit der Erkrankung Demenz scheint mir jedoch zu sein, dass nahezu ein jeder persönliche Erfahrungen, entweder in der eigenen Familie oder im Freundes- und Bekanntenkreis mit demenziell Erkrankten Personen hat machen müssen.

Wie sieht denn die Kostenseite aus? Zumindest die Pflege dürfte doch relativ kostenintensiv sein?

Antwort: In leichteren, d.h. frühen Krankheitsstadien veranschlagt man zusätzliche Kosten pro Patient und Jahr von etwa 15.000 EUR. Im fortgeschrittenen Stadium von etwa 42.000 EUR pro Jahr. Aber die Kosten sind nur die eine Seite. Ab 2020 droht ein verstärkter Fachkräftemangel, sowohl auf der medizinischen Seite, als auch auf der Seite der Pflege und vergessen Sie nicht, der größte Teil der Pflege - meist über einen sehr langen Zeitraum der Erkrankung - wird im häuslichen Bereich durch Familienangehörige, Ehepartner, die meist selbst hochaltrig sind und/oder oftmals durch ebenfalls in die Jahre gekommenen Kinder, die ihre greisen Eltern versorgen, geleistet. Hinzu kommt, dass der Bevölkerungs-Anteil der Alleinstehenden und Kinderlosen in Zukunft höher sein wird. Schon heute ist der Anteil derer, die auf die Hilfe ihrer Nichten und Neffen angewiesen sind, nicht gering. Ich habe in diesem Zusammenhang nie verstanden, warum der Gesetzgeber erbschaftssteuerlich diese Verwandten wie Fremde behandelt.

Hat die zunehmende Zahl von demenziell Erkrankten auch Auswirkungen auf unsere Krankenhäuser?

Antwort: Unbedingt, aber leider noch oft zu wenig realisiert. Sie müssen sich vorstellen, dass das Gros unserer Patienten nicht wegen Demenz, sondern wegen anderer Erkrankungen eine Behandlung im Krankenhaus erfährt. Im Bereich der Geriatrie stellt das Bonifatius Hospital in Lingen einen besonderen und in dieser Form eher seltenen Schwerpunkt dar. Wir haben in der Geriatrie naturgemäß etliche demenziell erkrankte Patienten. Aber wir finden natürlich auch an Demenz erkrankte ältere Patienten in der Unfallchirurgie z.B. nach Schenkelhalsfraktur, in der Orthopädie zu geplanten Gelenkersatzmaßnahmen und in der Kardiologie, Neurologie, Urologie, usw. Es gibt kaum einen Fachbereich der dieses Problem nicht kennt. Die spezielle Betreuung zur Verhinderung von Komplikationen, z.B. postoperativer Verwirrtheitszustände erfordert geschultes Personal und Erfahrung mit Demenz und in Geriatrie, d.h. Altersheilkunde in ihrer gesamten Breite. In den allermeisten bundesdeutschen Krankenhäusern ist diese Versorgung aber nicht gewährleistet.

Könnten Sie noch etwas zu der Thematik Fahrtauglichkeit, Verkehrssicherheit bei Demenz sagen?

Antwort: Das ist in der Tat ein ebenso brisantes, wie heikles Thema, das differenziert betrachtet werden muss. Schon in den frühen, d.h. in den leichten Stadien einer Demenz besteht eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit, die bereits im mittleren Stadium in eine sichere Fahruntüchtigkeit einmündet. Gleichwohl ist in einem leichten Stadium das Unfallrisiko rein statistisch betrachtet nicht höher als in der Altersgruppe der 17-21-jährigen, also der Fahranfänger. Nichts desto trotz sollte man bei festgestellter Demenz dem Patienten zu seiner eigenen Sicherheit zu einer Fahrtauglichkeitsprüfung, wie sie Institutionen, wie zum Beispiel der TÜV vornimmt, raten. Ich persönlich führe in solchen nicht immer einfachen Arzt-Patienten-Gesprächen gerne das Argument an: „Sie wollen doch sicherlich ihre lebenslange Unfall-freie Führerscheinkarriere nicht gefährden - oder?“. Aber es ist ein schwieriges Thema, das aufgrund der demografischen Entwicklung, die damit verbundene zunehmende Zahl der demenziell Erkrankten uns und - ich bin mir ganz sicher – auch den Gesetzgeber noch beschäftigen wird.

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