07.10.2014

Kunst im Krankenhaus - Ein Interview

Das Interview führte Frau Eva-Maria Riedel von der Lingener Tagespost mit PD Dr. Walter Höltermann

Mittlerweile ist man es gewohnt, im Bonifatius Hospital Kunstwerke – meisten sind es Bilder – vorzufinden. Nach welchen Gesichtspunkten werden die Ausstellungen ausgesucht?

Bereits seit 2009 hat das Bonifatius Hospital eine gelungene Kooperation mit der Kunsthalle Lingen. Sieben verschiedene Ausstellungen hat die Direktorin, Meike Behm, bereits in unser Haus gebracht. Sie wählt dabei die Künstler aus und stellt mit diesen die Objekte für das Krankenhaus zusammen. Zwischendurch bietet der Raum der Eingangshalle auch Platz für Thematische Ausstellungen wie „Inklusion in der Kiste“ oder auch Ausstellungen des Diözesanmuseums Osnabrücks wie „Lübecker Märtyrer“.

Interviewpartner PD Dr. Walter Höltermann vor einem Bild von Martina Niemann,
Kunst im Krankenhaus Teil 4 (2011): Bildfieber, dieses hängt heute auf der Akutgeriatrischen Station (Station 22), auf Wunsch der Station vom Bonifatius Hospital nach der Ausstellung gekauft worden

Privatdozent Dr. med. Walter Höltermann, 62 Jahre alt.
Seit dem 1.7.1998 Chefarzt der Abteilung für Anästhesie, operative Intensivmedizin und Schmerztherapie des Bonifatius Hospitals Lingen.
Palliativmediziner und Rettungsmediziner
Transfusionsverantwortlicher und Leiter des Immunhaematologischen Labors
Transplantationsbeauftragter
Mitglied im Ethik-Komittee

Welche Wirkungen sollen die Werke der Künstler auf die Krankenhausbesucher ausüben oder dienen die Ausstellungen in erster Linie der Verschönerung Ihres Hauses?
Auch im Krankenhaus verschönern Bilder die Wände und auch im Krankenhaus ist eine von Bildern durchbrochene Wand angenehmer anzusehen als eine eintönige Fläche. Ob und welche Bilder an den Wänden hängen, weist in einem Krankenhaus zudem auf den „guten Geschmack“ des „Hausherrn“ hin. Diese allgemeinen Bemerkungen, die so oder ähnlich für jeden bewohnten Raum gültig sind, reichen allerdings nicht aus, um die Wirkungen von Kunst im Bonifatius Hospital zu erklären. Mit dem Angebot wechselnder Ausstellung von Bildern heimischer Künstler soll den Kranken und deren Angehörigen, den Besuchern und den Mitarbeitern die Möglichkeit einer anderen Wahrnehmung gegeben werden. Kunst will berühren und den, der sich darauf durch ein Betrachten einlässt, in seinen Empfindungen erreichen. Das intensive Betrachten eines Bildes ist vergleichbar mit einem guten Gespräch. Auch dieses erfordert die Wahrnehmung der eigenen Gefühle und ist erst dann gelungen, wenn diese auch so klar und konkret sind, dass sie ausgesprochen werden können. Dort, wo die eigenen Gefühle besonders stark „in Wallung“ gebracht werden, wo geboren und gestorben wird, wo Hoffnungen zerfallen und Wünsche wahr werden, sind Bilder, von denen die Kraft zu einer sinnlichen Wahrnehmung ausgeht, eine Möglichkeit, den eigenen Gefühlen nachzuspüren und sich darauf einzulassen. Um es auf einen kurzen Nenner zu bringen: Kunst muss dahin gebracht werden, wo sie gebraucht wird.

Können Kunstwerke auf die mit Sorgen belasteten Besucher des Krankenhauses Einfluss nehmen?
Sicherlich! Beim intensiven Betrachten von Bildern kommt es ja zunächst einmal zu einer Ablenkung von den Ereignissen des Tages und der Betrachter kommt in eine andere Ebene der Wahrnehmung, in eine sinnliche Anschauung. Was dann die Sinne bewegt, ist sicherlich ganz unterschiedlich und auch vom ästhetischem Empfinden des Einzelnen abhängig, ob ihn das, was der Künstler an Ausdruck in das Bild gebracht hat, erreicht. Wichtig ist, wie viel von der Kreativität der Künstlerin, des Künstlers bei dem Betrachter ankommt und bei ihm einen Einklang seiner Befindlichkeit mit seiner derzeitigen Lebenswirklichkeit fördert. Erst wenn der Kranke das, was in ihm vorgeht, wahrnimmt und in einen realistischen Bezug zur jeweiligen Situation bringt, kann er aktiv an seiner Behandlung mitwirken. Dieses gilt so auch für Angehörige, die auch erst mit ihren Empfindungen klar kommen müssen, wenn sie dem Kranken hilfreich beistehen wollen. Wirklichen Trost bekommt letztendlich nur der, der sich, so wie er ist annimmt und sich mit sich selbst und der ihn belastenden Situation versöhnt. Ein Kunstwerk, egal ob ein Bild, eine Skulptur oder eine Installation, sind ein Geschenk und haben demzufolge eine Bestimmung. Entscheidend ist, ob das Geschenk vom Betrachter auch als ein solches angenommen wird bzw. werden kann. Kunstwerke können helfen, Krankheit, Gesundung und Tod als Teil des Lebens zu begreifen und damit besser umzugehen.

Gibt es Patienten, die Hoffnung aus der dargebotenen Kunst schöpfen, womöglich neue Perspektiven für sich entdecken?
Hoffen und Bangen sind oft zwei anhängliche Begleiter eines Krankheitsverlaufes. In einer existenziellen Situation, wie einer Krankheit, sind „die Nerven“ extrem angespannt, die Empfindungen intensiv und die Gefühle wechseln ständig. Wie da in ein inneres Gleichgewicht kommen, sich mit der Krankheit in einen Einklang bringen oder sogar das Vertrauen in den eigenen Körper wiederzugewinnen? Die Wirkung der Kunst in solchen Situationen besteht in der Qualität des bildnerischen Ausdrucks. Dieser ist nonverbal und braucht erst mal keine Sprache. Wenn die Krankheit sprachlos macht, ist das Bild näher mit dem Seelischen verknüpft und kann diesem eine Sprache geben. Dieses wird klar, wenn wir bedenken, dass wir alle nicht in Worten sondern in Bildern träumen, erinnern und phantasieren. Konkret: Es fällt dem schwer kranken Menschen oft leichter, ein Bild für seine Gefühle zu finden, als sie beschreiben zu müssen. Demgegenüber sind Worte in für lebensbedrohliche Empfindungen oft zu flach, zu alltäglich und drängen zu sehr nach Erklärung, wo zunächst einmal gar nicht nichts zu erklären ist. Eine gleiche Wirkung haben auch Symbole, die es dem Betroffenen ermöglichen, dem eigenen Leiden ein „Gesicht“ zu geben.
Jede Erkrankung, die mit einem Krankenhausaufenthalt verbunden ist, verändert den Betroffenen. Die Krankheit und auch die Gesundung werden zu einem wesentlichen Teil seiner Biographie. Diese Erkenntnis ist nicht sofort da, sie entwickelt sich vielmehr im Krankheitsverlauf und ist das, was als Krankheitseinsicht bezeichnet wird. Nichts ist da weniger hilfreich als die Suche nach einem Schuldigen. Wenn Hoffnung vom Prinzip zur Empfindung werden soll, wenn Perspektive sich aus der Krankheit entwickeln soll, dann muss aus dem „Warum? ein „Wozu?“ werden. Dabei handelt es sich um einen Vorgang, den Kopf und Herz gleichermaßen bewältigen müssen, was an sich schon ein großer Kraftakt ist. Kunst kann am Anfang, wenn die Diagnose nichts als Schrecken und Ohnmacht verbreitet, die Sprachlosigkeit ersetzen, bzw. helfen, die Sprache wieder zu finden. Später ist sie hilfreich als „Anker“, wenn erneut durch Rückschläge Bedrohung da ist oder wenn die Krankheit in ihrem Verlauf fortschreitet. Und damit wird deutlich, dass diese Zusammenhänge insbesondere auch für Menschen mit einer unheilbaren Krankheit zutreffen. Es gibt keine Hoffnung auf ein ewiges Leben, doch eine Hoffnung auf ein menschenwürdiges Lebensende. Dazu bedarf es der Mitarbeit von Menschen verschiedener Berufsgruppen, der Angehörigen und des Patienten selbst sowie einer ganzen Reihe von Methoden. Die Kunst gehört dazu!

Welchen therapeutischen Nutzen kann die Präsentation von Kunst beim Patienten bewirken?
Selbstverständlich kann Kunst keine Operation oder auch nicht die Gabe einer Arznei ersetzen. Kunst ist vielmehr ein spezifischer Bestandteil ganzheitlicher Therapien. Entscheidend für die jeweilige Behandlung sind einerseits die Erkrankung und andererseits der Patient. Das Prinzip der ärztlichen Fürsorge ist es, dem Kranken die Erkrankung zu erklären, ihm die möglichen Therapien darzustellen und mit ihm zusammen das Therapieziel zu entwickeln. In Abhängigkeit davon werden die Bestandteile der Therapie ausgewählt. Bei einer ganzheitlichen, sich nicht nur auf die Krankheit, sondern auf den gesamten kranken Menschen sich beziehenden Therapie, gehört die Kunsttherapie dazu. Diese umfasst neben dem begleiteten Betrachten von Kunstwerken auch die Erstellung von Bildern durch den Kranken selbst. Insbesondere in der Behandlung von Sterbenskranken und auch chronisch Kranken, die nicht Sterbend sind, hat die Kunsttherapie mittlerweile einen festen Platz in den jeweiligen Behandlungsplänen. Neben dieser spezifischen Funktion von Kunst in der Therapie von Krankheiten wirkt Kunst unspezifisch an der Behandlung von Kranken mit. Kunst kann helfen die eigenen Gefühle wahrzunehmen, die Sprachlosigkeit zu überwinden, das innere Gleichgewicht wiederzufinden und so in der Auseinandersetzung mit dem eigenen kranken Körper und der damit verbundenen emotionalen Belastung Klarheit, Hoffnung und Perspektive zu gewinnen. Dadurch werden nicht nur therapeutische Gespräche möglich, sondern wird auch übermäßiger und für den Körper schädlicher Stress auf natürliche Weise abgebaut. Kunst wirkt in dieser Weise wie ein Schmerz- oder Beruhigungsmittel, allerdings ohne Nebenwirkungen.

Lässt sich auch ihre ärztliche Kunst vom Betrachten der Kunstwerke inspirieren?
Ärztliche Kunst geht weit über das hinaus, was wir unter den Begriffen Diagnose und Therapie zusammenfassen. Das Ergebnis von Kunst ist ein Kulturprodukt, welches durch einen kreativen Prozess zustande kommt. Auch die Heilkunst ist im weitesten Sinne eine Tätigkeit, die auf Wissen, Übung, Wahrnehmung, Vorstellung und Intuition gegründet ist und ihr Ergebnis kann demzufolge nicht immer gleich sein. Wie auch beim bildenden Künstler wird die Tätigkeit des Arztes zur Kunst, wenn er wirkungsvollere Wege findet, die Gesundheit zu erhalten oder sie wiederherzustellen und das mit weniger Aufwand, als dies mit den gängigen Methoden möglich ist. Wie bei einem Maler oder Bildhauer wird auch die Kunst des Arztes danach beurteilt, ob sie kreativ und mit höchster Effizienz ausgeübt wird, dass also, gemessen an den eingesetzten Mitteln, eine möglichst große Wirkung zustande kommt. Bei vergleichbarer Wirkung erfährt nicht der höhere, sondern der vergleichsweise maßvollere Aufwand die höchste Wertschätzung als Kunst. So gesehen, kann es den „Kunstfehler“ nicht geben, allenfalls einen Mangel an ärztlicher Kunst. Ich denke, in diesem Zusammenhang ist der Satz von Karl Valentin recht zutreffend, der einmal gesagt hat: „Kunst kommt von können und nicht von wollen, denn sonst müsste es ja Wunst heißen“.
Abgesehen davon begreifen sich die meisten Ärzte wohl nicht als Künstler sondern als Anwender bestehenden Wissens über Krankheiten und deren Behandlung. Dabei rationalisieren sie ihre Gedanken und ihr Tun im Wesentlichen auf biologische Vorgänge im Körper der Betroffenen und auf die darauf ausgerichteten Therapien. Die eigenen Gefühle und die der Kranken geraten da oft in den Hintergrund. Doch das ist das Gegenteil von Ganzheitlichkeit, die alle Aspekte einer gesundheitlichen Störung, seien sie nun körperlich, geistig, emotional oder sozial betrachtet und in die Therapieziele und in die Möglichkeiten zu deren Verwirklichung einbezieht. Kunst im Krankenhaus ist so gesehen ein sinnvolles Gegenüber zu rein biologischen Anschauungen, sie ist elementar, ganzheitlich und voller neuer An- und Einsichten. Damit die Wirkung von Kunst im Krankenhaus auch wirksam wird, muss sie allerdings genutzt werden: Nutzen hat nur der, der sich damit konfrontiert und sich auf das was da an kreativer Kraft drin steckt einlässt.
In meiner Tätigkeit als Arzt bin ich auf Reflexion des eigenen Handelns angewiesen und diese löst in mir besonders auch Gefühle aus. Auch ich muss, wenn ich nicht in eine seelische „Schieflage“ geraten will, meine Gefühle wahrnehmen, sie ordnen und ihnen Sprache geben. Auch als Arzt kommen bei mir zuweilen „die Gefühle in Wallung“ und da ist es für mich gut, wenn bildende Kunst und Musik mir bei der Wiederherstellung des inneren Gleichgewichts helfen. Da unterscheide ich mich nicht von den Patienten. Das Betrachten der Kunstwerke inspiriert mich in meiner ärztlichen Tätigkeit, indem sie mich in meinen Gefühlen begleiten und damit meine Fähigkeiten im Umgang mit den Patienten und in der alltäglichen Arbeit fördern.

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