19.05.2025
Risiko eines schweren Delirs bei älteren Menschen minimieren
„Lotsen“ und Flüssigkeitsmanagement helfen
von Dr. med. Jana Karin Köbcke
Chefärztin Geriatrie, Bonifatius Hospital Lingen
Ältere Menschen weisen eine verringerte körperliche Reservefähigkeit bei akuten Krankheiten sowie Operationen auf. Diese betrifft auch das Gehirn der Patienten. Sie sind damit besonders anfällig für eine akute, oft wechselhafte Verschlechterung der Hirnleistung im Rahmen dieser Erkrankung. Wir nennen diese Komplikation „Delir“.
Ein Delir wird manchmal auch „Durchgangssyndrom“ genannt, wenn es nur wenige Tage andauert. Das hört sich noch harmlos an. Es kann aber auch sehr schwere Verläufe geben mit Unruhe, aggressivem Verhalten, Halluzinationen und Tag-Nacht-Umkehr. Durch den oft andauernden Abbau der Hirnleistung verbunden mit Verschlechterung der Fähigkeiten im Alltag und beim Gehen sind die Folgen eines schweren Delirs nicht mehr harmlos.
Ein Delir unterschiedlicher Schweregrade können zwischen 10-30 % aller älteren Patienten, je nach Erkrankung und Vorschädigung des Gehirns, entwickeln. Besonders im Rahmen von Operationen hat nicht nur der Körper der älteren Patienten, sondern auch das Gehirn viel auszuhalten. Die Patienten selbst merken oft nicht, was mit ihnen geschieht, wenn man ihnen am nächsten Morgen von der unruhigen Nacht erzählt, wie durcheinander sie waren. Andere können sich daran erinnern, oft mit Ängsten, da sie es selbst nicht beeinflussen können, was passiert. Wie soll ein Mensch auch verstehen, dass er in der Nacht verwirrt und impulsiv ist, obwohl er sonst friedfertig den konstruktiven Dialog sucht und sein Leben genießt. Auch die Angehörigen der Patienten sind betroffen, erkennen ihre geliebten Menschen in diesen deliranten Phasen kaum wieder.
Daher ist es unser Ziel, die mögliche Komplikation eines Delirs rechtzeitig zu erkennen und Gegenmaßnahmen einzuleiten, um Patienten und ihren Familien zu helfen.
Dazu werden alle Patienten ab 65 Jahre vor einer geplanten Operation einem kurzen Fragen- und Beobachtungstest (Screening) auf Risikofaktoren für ein Delir unterzogen. Hierbei erfasste Hochrisiko-Patienten können gezielt schon präoperativ Maßnahmen zur Unterstützung ihrer Orientierung erhalten. Das Delir ist keine reine Gedächtnisstörung, sondern vielmehr eine akute Verminderung der Auffassungskapazität mit Desorientierung zur Zeit, zur Situation und auch zum Ort.
Hilfreich sind hier z.B. „Lotsen“, die Patienten durch die Zeit einer Operation und in den ersten Tagen auf der Station begleiten. So können die Patienten in schwierigen Situationen aufgefangen und unterstützt werden. Ein sogenanntes Kognitionsteam aus speziell ausgebildeten Pflegefachkräften begleitet in Einzelbetreuung diese Patienten in den OP und in der Aufwachphase bis zurück auf die Station. Ängste können dadurch massiv reduziert, Desorientiertheit mit Sicherheitsgefühl begegnet werden. Auch auf der Station oder bei anderen Untersuchungen, wie beim Röntgen, hilft diese Begleitung bei den Patienten sehr, einem Delir entgegenzuwirken.
Eine weitere Optimierung kann im Bereich des Flüssigkeitsmanagements vor Operationen erzielt werden. Zu diesem Thema wurde im Austausch mit der Klinik für Anästhesie unter Leitung von Dr. Jörg Isbach dort ein neues Nüchternheitskonzept vor Operationen eingeführt. Anhand von Studien ist mittlerweile bekannt, dass die Leitlinienempfehlung, zwei Stunden vor einer Operation nichts mehr zu trinken, in den allermeisten Fällen deutlich verlängert wird. Nicht selten gehen Patienten nach einer 12-stündigen Trinkpause mit einem Flüssigkeitsmangel (dehydriert) in die Operation. Ebenfalls belegt ist, dass ein Flüssigkeitsmangel vor der Operation Komplikationen und das Delirrisiko nach der Operation erhöhen kann. Patienten mit geringem Risiko für eine Aspiration (Verschlucken) im Rahmen der Operation können jetzt gemäß eines neuen Nüchternheitskonzeptes sogar bis zur Operation noch Wasser zu sich nehmen.
Zudem zeigt sich, dass nicht nur Patienten, sondern auch deren Angehörige Hilfe benötigen. Daher bietet das Bonifatius Hospital Angehörigensprechstunden zum Thema Demenz und Delir an (donnerstags, 15.00-17.00 Uhr, Terminvereinbarung unter Tel. 0591 910-1501).